"Was gesagt werden muss, muss gesagt werden!" - Stellungnahme zum Missbrauchsskandal in der Erzdiözese München-Freising

Der Brief, den ich am 22. Januar 2022 anlässlich des Gutachtens zum Missbrauchsskandal schrieb, war an die Mitarbeiter*innen von Schloss Zinneberg gerichtet. Als Ordensgemeinschaft erachte ich es als unsere Pflicht, Stellung zu beziehen gegenüber jenen, die mit uns arbeiten. Nachfolgend möchte ich den Inhalt des Schreibens auch online stellen. Ich erachte es nämlich ebenso als unsere Pflicht und Schuldigkeit Stellung gegenüber einer "Öffentlichkeit" zu beziehen, die unserer Arbeit kennt, mit uns zu tun hat.

"Es mir ein Anliegen, angesichts der nunmehr auch aufgrund des neuen wissenschaftlichen Gutachtens bestätigten katastrophalen Verbrechen innerhalb der katholischen Kirche unserer Diözese von unserer Seite als Ordensgemeinschaft Stellung zu beziehen.

Gleich vorweg: Wir wussten es spätestens seit 2008 „was in der Kirche los ist“, als ein Jesuitenpater aus Berlin den Mut hatte, mit seinem Wissen über Verbrechen in den Reihen der katholischen Kirche Deutschlands an die Öffentlichkeit zu gehen. „Tatsächlich gewusst“ war es vermutlich schon immer von vielen, was die Schuld noch vergrößert! Im Zusammenhang mit den Schulungen zum § 8a (Anmerkung: Paragraf aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetzt zum Kindeswohl) und zum Präventionskonzept unserer Ordensgemeinschaft, werden und wurden (weil fortlaufende Schulungen im Haus), welche leidvollen Umstände dazu führten, dass sowohl auf staatlicher Seite als auch innerhalb von kirchlichen Trägern entsprechende Konzepte geschaffen werden mussten. 

Es ist dennoch erneut  zutiefst beschämend, was sich in „unserer Kirche“ abspielte (noch abspielt?), wenn ich mir dieses Gutachten vor Augen führe. Ja, ich schäme mich als Mensch, als Ordensfrau für eine Institution, zu der ich gehöre, in deren „Rahmen“ ich als Mitglied einer Gemeinschaft tätig bin. Ich/Sie wissen, dass dieses menschenverachtende Verbrechen des Missbrauchs in all seinen Facetten nicht nur in der Kirche vorkommt. Es ist allerdings um so entsetzlicher, als dass diese Verbrecher*innen“ in einem System aktiv werden konnten, das sich nach wie vor den „Heilsmantel“ umlegt und allzu gerne andere nach z.T. eigenartig anmutenden moralischen Richtlinien be- und verurteilt. Da empfinde ich oft, dass „man“ Gott selbst missbraucht und ausgeschlossen hat. Das ist nicht die Vorstellung und das Gottesbild unserer Ordensgründerin, Maria Eufrasia Pelletier (1796 - 1868) und damit unserer Gemeinschaft.

Zentrales Anliegen unseres Hauses muss es sein, den uns Anvertrauten und unseren Mitarbeiter*innen einen sicheren Ort hier in Zinneberg zu bieten und zu bewahren, wo sich jeder*e entwickeln kann, sein darf, wo keiner*e Angst zu haben braucht.

Was „war“ kann letztlich nicht mehr gutgemacht werden, aber was ich/wir alle – unabhängig von katholisch, evangelisch, sonst was, als Ordensmitglied oder „Weltfrau*mann,“ egal welcher beruflicher Qualifikation – machen können und müssen: uns sensibel zu halten für jegliches Unrecht, das nicht erst bei Missbrauch beginnt. Unrecht beginnt dort, wo Unrecht nicht mehr beim Namen genannt werden darf, wo man sich nicht traut, auch unangenehme Themen zu thematisieren, wo falsche Rücksichtnahmen genommen werden, wo man sich hinter Verfahren verschanzt.

Unrecht beginnt dort, wo Fehler nicht mehr offen gelegt und zugegeben werden, wo man nicht mehr um Verzeihung bittet, wo man nicht miteinander sondern mehr übereinander redet. Es ist ein Appell an mich/ an uns alle.

Es geht mir darum, dass ich/wir uns sensibel halten, Sorgen, Anliegen, auch Vorwürfe von Kindern, Jugendlichen, Kollegen*innen ernst zu nehmen und alles daransetzen, um bei unterschiedlichen Themen/ Fragen transparent in Planung, Handeln und Begründung zu sein.

Wir haben in der Pädagogik oft schwierige Entscheidungen zu treffen – es gibt kaum etwas schwierigeres, als Entscheidungen im Hinblick auf andere zu treffen, erst recht, wenn es sich um Betreute handelt. Wer kann schon mit Gewissheit sagen, was das Gegenüber zum persönlichen Glück braucht? Wir müssen einerseits mit Beziehungen arbeiten und sind andrerseits gefordert, immer wieder das richtige Maß von Nähe und Distanz auszuloten. Wir wissen nicht, wie andere „nach uns“ unser Handeln beurteilen, wir sind nicht gegen Fehler gefeit. Was wir vielleicht einmal, als vermeintlich „gut" meinten, können andere "nach uns" anders auslegen - Verbrechen gegenüber Schutzbefohlenen, wie das des Missbrauchs, selbstverständlich ausgeschlossen, hier gibt es keinen Toleranzspielraum der Beurteilung.

Was wir im Hier und Jetzt uns aber als Maßstab anlegen müssen, ist und bleibt die Orientierung an der Würde des Gegenüber und an der eigenen Würde!

 Wir Schwestern vom Guten Hirten in Zinneberg danken unserer Mitarbeiter*innen, dass Sie mit uns für eine menschenwürdigere Welt im Einsatz sind und für ihr Vertrauen."